Wenn mein innerer Richter in mir arbeitet und es mal wieder geschafft hat, mich davon zu überzeugen, nicht gut genug zu sein, holt er sich manchmal auch noch "Verbündete" von außen mit "in´s Boot". Denn in so einer Verfassung läuft mir dann häufig auch noch eine bestimmte Art von Mitmenschen über den Weg, die ich als besonders besserwisserisch, bevormundend und anstrengend empfinde.
Wenn die Äußerung oder das Verhalten eines solchen Mitmenschen -oder manchmal noch mehr einer nahestehenden Person- besonders trifft, fühlt der innere Richter sich noch mehr "bestätigt" in seinem Urteil, nicht gut genug zu sein, versagt zu haben usw. und verstärkt so noch das eigene negative Urteil über sich selbst.
Dann fühlt man sich noch schlechter, weil es so scheint, eine Bestätigung der eigenen negativen Glaubensansicht über sich selbst erhalten zu haben.
Man ist verletzt, weil unbewusst bestimmte "Knöpfe gedrückt" werden, die seelische Wunden wieder schmerzhaft spüren lassen.
Derjenige, der diese Knöpfe gedrückt hat - gewollt oder ungewollt -, wird dann schnell zum Schuldigen, weil man diesen Schmerz nicht spüren will.
Spätestens wenn es soweit ist, ist es wieder Zeit für mich, den Blick mal wieder intensiver nach innen zu richten. Bei anderen fällt es uns für gewöhnlich leichter, "Mängel" zu erkennen. Bei uns selber sind wir meist zu nah dran an der Verletzung, zu sehr im entsprechenden Verhaltensmuster und dem Gefühl, das dabei ausgelöst wird, um noch objektiv wahrzunehmen, was da gerade abläuft. Es heißt ja schon in der Bibel: "Was siehst du den Splitter im Auge deines Nächsten, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht?"
Dazu noch diese kleine Geschichte von Anthony de Mello:
"Eine Frau beschwerte sich bei einer Freundin, die sie besuchte, dass ihre Nachbarin keine gute Hausfrau sei. "Du solltest sehen, wie schmutzig ihre Kinder sind - und ihr Haus. Es ist beinahe eine Schande, in der Nachbarschaft zu wohnen. Sieh dir bloß einmal die Wäsche an, die sie draußen auf die Leine gehängt hat. Man erkennt deutlich die schwarzen Streifen auf den Laken und den Handtüchern." Die Freundin ging zum Fenster und sagte: "Ich glaube, die Wäsche ist ganz sauber, meine Liebe. Die Streifen sind auf deinen Fensterscheiben."
(aus: “Zeiten des Glücks - Geschichten für Herz und Seele” von Anthony de Mello, Verlag Herder)
Was wir sehen und wahrnehmen, geschieht meistens durch die eigenen inneren Filter. Wir reagieren auf äußere Anstöße, auf die wir eine innere Resonanz haben. Der innere Richter wird oft dann zum äußeren Richter, in dem er uns etwas verurteilen lässt, das die eigenen Erfahrungen und Verletzungen scheinbar bestätigt. Das lenkt vom Schmerz der eigenen seelischen Verletzungen ab und lässt ihn dann vorübergehend weniger spüren. Weg ist er damit nicht, und er wird in entsprechenden Situationen auch immer wieder auftauchen. Am wirkungsvollsten scheint es da, doch besser bei sich zu schauen, denn da sind die Einflussmöglichkeiten am größten.
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